Ausgabe 2>2014 - page 29

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Esslinger Gesundheitsmagazin 29
Doch nicht alle schaffen es, das Trauma
zu verarbeiten, es quasi zu den Akten zu
legen. Sie schaffen es vor allem nicht
ohne kompetente Hilfe. „Primär Personen,
die Opfer von Gewalttaten wurden, kön­
nen in der Folge eine Traumafolgestörung
entwickeln“, erklärt Dr. Nolting. Zu den
typischen Symptomen einer solchen Trau­
mafolgestörung gehören etwa Alpträume,
Schreckhaftigkeit, der soziale Rückzug,
Panikattacken oder auch das Entstehen
einer Depression. „Die Betroffenen
bekommen die Erlebnisse einfach nicht
mehr aus dem Kopf“, sagt Chefarzt Nol­
ting. Die Forschung zeigt, dass ca. ein
Drittel der psychisch traumatisierten
Gewaltopfer derart krank wird.
Niederschwelliges Angebot
Um Gewaltopfer besser vor diesen Folgen
zu schützen, hat das Land Baden-Würt­
temberg im Rahmen des Opferentschädi­
gungsgesetzes im Frühjahr 2014 in einem
Pilotprojekt an sechs Kliniken im Land –
darunter das Klinikum Esslingen – Trau­
maambulanzen eingerichtet. Es ist ein
niederschwelliges Angebot speziell für die
Opfer von sexueller, häuslicher oder kri­
mineller Gewalt. „Die Traumaambulanz ist
rund um die Uhr erreichbar, die Betroffe­
nen können sich direkt an uns wenden
und bekommen kurzfristig einen Termin,
eine Überweisung seitens eines Hausarz­
tes ist nicht erforderlich“, betont Dr. Nol­
ting. Die einzigen Voraussetzungen: Die
erlebte Gewalttat darf nicht länger als ein
Jahr zurückliegen und die Betroffenen
müssen eine Anzeige bei der Polizei
gestellt haben.
Die Behandlung in der Traumaambulanz
umfasst zunächst fünf Sitzungen. Diese
bestehen aus Gesprächen und stabilisie­
renden Maßnahmen. „Unser primäres Ziel
ist es, den Patienten zu entlasten“, sagt
Dr. Nolting, der wie auch drei Oberärzte
der Klinik eine traumatherapeutische
Zusatzqualifikation besitzt. Wichtig dabei
ist es vor allem, die Symptome, unter
denen die Betroffenen leiden, richtig ein­
zuordnen. „Wenn den Betroffenen klar
wird, dass ihre Symptome ganz normal
sind, haben wir schon viel erreicht.“ Oft
genügen daher schon zwei oder drei Sit­
zungen, um das Gewaltopfer zu stabilisie­
ren und die „Selbstverarbeitung“ in die
richtigen Wege zu leiten.
Ist dagegen eine Akuttherapie nötig, etwa
wenn eine Gewalttat mit akuter Lebens­
gefahr einherging oder wenn ein aktuelles
Gewaltgeschehen mit ähnlichen Erfah­
rungen aus der Kindheit verknüpft wird,
schließen sich an die anfänglichen fünf
Sitzungen zehn weitere Termine an. Es
wird ein Behandlungskonzept entwickelt,
mit dem die Traumatherapeuten das
Trauma gemeinsam mit dem Patienten
aufarbeiten. Benutzt werden dabei etwa
Imaginationsübungen , bei denen die Vor­
stellungskraft dem Gewalttaterleben
gegenübergestellt wird.
Ist bei besonders schlimmen Verläufen und
dem regelmäßigen Auftreten von Flash­
backs, bei denen der Betroffene immer
wieder in das Geschehen hineinrutscht, die
ambulante Versorgung nicht ausreichend,
besteht am Klinikum Esslingen zudem die
Möglichkeit der teilstationären Behand­
lung. Zeitgleich mit der Eröffnung der
Traumaambulanz hat die Klinik für Psy­
chosomatische Medizin und Psychothera­
pie dafür ihre Tagesklinik umstrukturiert,
zehn der tagesklinischen Plätze sind nun
für die Traumatherapie vorgesehen.
Das Modellprojekt des Landes ist bis 2016
terminiert. Dr. Nolting geht davon aus,
dass es danach weitergeführt wird. „In
anderen Bundesländern, die schon länger
über Traumaambulanzen verfügen, hat
sich das System sehr bewährt. Und auch
hier in Esslingen wird das Angebot immer
stärker nachgefragt.“ Er hat intensive
Gespräche geführt mit der Polizei, dem
Weißen Ring, dem Runden Tisch gegen
Gewalt und weiteren Einrichtungen, die
sich um Gewaltopfer kümmern. „Durch
die zunehmende Vernetzung mit diesen
Institutionen steigt unser Bekanntheits­
grad – und sinkt die Hemmschwelle für
die Betroffenen“, sagt Dr. Nolting. Denn
noch suchen viel zu wenige Gewaltopfer
Unterstützung bei einem Psychothera­
peuten, vor allem aus Schamgefühl oder
aus Angst, psychiatriert zu werden. „Mit
dem niederschwelligen Angebot der Trau­
maambulanz sind wir aber auf einem sehr
guten Weg“ betont Dr. Nolting.
wb
Traumaambulanz
der Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie am Klinikum Esslingen
Hirschlandstraße 97
73730 Esslingen
Montag bis Donnerstag 8 bis16 Uhr
Freitag 8 bis 14 Uhr
Telefon 0711 3103-3101
Außerhalb der Sprechzeiten Kontakt zum
diensthabenden Arzt der Psychosomatik
über die Zentrale Notaufnahme des Klinikums
Esslingen
Telefon 0711 3103-0
„Die Traumaambulanz ist rund um die
Uhr erreichbar, die Betroffenen können
sich direkt an uns wenden und bekom-
men kurzfristig einen Termin, eine
Überweisung seitens eines Hausarztes
ist nicht erforderlich.“
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