1 2013
Esslinger Gesundheitsmagazin 39
Die menschliche Hauptschlagader, kurz
Aorta, reicht von der linken Herzkammer
bis zum Becken, wo sie sich in die beiden
Beinarterien teilt. Beim erwachsenen
Menschen ist sie 30 bis 40 Zentimeter
lang und hat einen Durchmesser von 2 bis
2,5 Zentimetern. Mit hohem Druck strömt
das Blut durch diese größte Ader im
menschlichen Körper. Doch der Mensch
hat vorgesorgt: Die Wand der Aorta ist
aus mehreren Schichten aufgebaut, die
ihr eine große Elastizität verleihen – des
halb hält sie normalerweise auch ein
Leben lang. Doch es gibt Fälle, in denen
die Elastizität verloren geht und die Ge
fäßwand ermüdet. In der Folge bildet
sich eine Aussackung, ein sogenanntes
Aortenaneurysma.
In einem solchen Fall weitet sich die Aor
tenwand, bis sie irgendwann reißt. Ruptur
wird das medizinisch genannt. „Das ist
wie beim Aufblasen eines Luftballons: Er
wächst und wächst, bis irgendwann die
Ballonwand nicht mehr mitmacht und
platzt“, sagt Professor Dr. Florian Liewald,
Chefarzt der Klinik für Gefäß- und Tho
raxchirurgie am Klinikum Esslingen. Rund
100 Aortenaneurysmen operieren er und
sein Team jährlich, meist rechtzeitig vor
der Ruptur. In vier von fünf Fällen handelt
es sich um ein Bauchaortenaneurysma,
in den anderen Fällen ist meist die Brust
aorta betroffen. Grundsätzlich aber kann
sich in jedem Blutgefäß ein Aneurysma
bilden, auch in den Gehirnarterien oder
den vom Herzen zum Kopf führenden
Gefäßen.
Bluthochdruck und Rauchen
sind Risikofaktoren
Dass bei manchen Menschen die Aorten
wand weniger belastungsfähig ist als bei
anderen, hat zum Teil genetische Gründe,
wie etwa eine angeborene Bindegewebs
schwäche. Auch Arteriosklerose, Entzün
dungsprozesse der Gefäßwand oder Ver
letzungen können zu einem Aneurysma
führen. Zudem steigt die Gefahr mit dem
Alter. „Ältere männliche Raucher mit
Bluthochdruck sind Risikogruppe Nummer
eins“, sagt der Esslinger Internist Dr. Hel
mut Kachler und ergänzt: „Die Häufigkeit
eines Aortenaneurysmas wird für Männer,
die älter als 60 Jahre sind, mit 2,6 Prozent
angegeben, bei Frauen in ähnlichem Alter
liegt sie bei etwa 0,5 Prozent. Eine solche
Veränderung ist also gar nicht so selten.“
Meist wissen die Betroffenen lange
nichts von ihrem unstabilen Blutgefäß.
Das hat seinen Grund: „Die Entwicklung
eines Aneurysmas findet ohne jegliche
Beschwerden statt und dauert in der
Regel mehrere Jahre“, erklärt Dr.
Kachler. Er entdeckt die Aneurysmen
in der Regel als Zufallsbefund im
Rahmen von Routineuntersuchun
gen mittels Ultraschall, mit dem sich,
auch bei übergewichtigen Patienten,
die Aorta sehr gut abbilden lässt.
Von einem Aneurysma spricht man,
wenn die Aorta einen Durchmesser von
drei Zentimetern erreicht hat. „Das ist
noch kein Grund zur Panik, sollte aber
beobachtet werden“, so der Internist. Er
bestellt die Patienten mit einer erweiter
ten Bauchschlagader deshalb zur regel
mäßigen Ultraschallkontrolle ein. Bei sehr
schnellem Wachstum des Aneurysmas
oder spätestens, wenn eine Größe von vier
bis fünf Zentimetern erreicht ist, nimmt
Dr. Kachler Kontakt mit der Gefäßchirur
gie auf: „Dann ist der Zeitpunkt gekom
men, an dem man an operative Maßnah
men denken muss.“
Individuelle Situation bestimmt
den Zeitpunkt der OP
In der Gefäßchirurgie des Klinikums Ess
lingen wird der Befund mit einer Compu
tertomografie verifiziert. Neben der
Größe fließen dann auch die Form der
Aussackung, die zeitliche Entwicklung
und das Beschwerdebild in die Operati
onsentscheidung ein. „Die Indikation für
eine Operation hängt stark von der indi
viduellen Situation ab“, betont Gefäßchi
rurg Liewald. Auf jeden Fall auf dem OP-
Tisch landet ein Aneurysma, wenn es
größer als fünf Zentimeter ist, da dann die
Rupturgefahr stark ansteigt.
Für den Eingriff stehen zwei Verfahren zur
Verfügung. Die klassische Methode ist die
offen-chirurgische Operation. „Dabei wird
der Bauchraum geöffnet und an die Stelle
des Aneurysmas eine Gefäßprothese
implantiert“, erklärt Professor Liewald.
Das ist entweder eine Rohrprothese oder,
wenn auch die Beinarterien betroffen
sind, eine Y-Prothese aus Kunststoff. „Das
ist eine große, belastende Operation, die
einen knapp zweiwöchigen Krankenhaus
aufenthalt in unserer Klinik zur Folge hat“,
so der Chefarzt.
Die Alternative ist der endovasculäre Ein
griff. Dabei werden an den Leisten des
Patienten die Gefäße geöffnet und die
Prothese, ein kunststoffbeschichtetes
Metallgitter, durch die Blutbahn bis in das
Aneurysma vorgeschoben. „Unter Rönt
genkontrolle wird dieser Stentgraft exakt
>>>
Das Risiko, dass ein Aneurysma
reißt, steigt kontinuierlich mit
dem Durchmesser der Aorta.
Die Deutsche Gesellschaft für
Gefäßchirurgie nennt obige
Richtwerte.
Aortendurchmesser
Rupturrisiko
4
-
4‚9
cm
3
%
5
-
5‚9
cm
10
%
6
-
6‚9
cm
15
%
>
7
cm
60
%
4‚2
cm
3‚7
cm
1‚8
cm
Im Ultraschall kann die Aorta
ohne großen Zeitaufwand darge-
stellt und exakt vermessen wer-
den. Die Aorta links zeigt eine
Normalgröße von 1,8 cm, in
der Mitte und rechts ist sie auf
3,7 cm bzw. 4,2 cm aufgeweitet