1 2015
Esslinger Gesundheitsmagazin 11
Messen – rechnen – spritzen, das ist der
Lebensrhythmus von Typ 1-Diabetikern.
Denn ihr Körper produziert kein Insulin.
Doch moderne High-Tech-Medizin gibt
Anlass zur Hoffnung.
Ein Leben mit Typ 1-Diabetes ist ein Leben in Abhängigkeit. „Aus
bisher immer noch unbekannter Ursache werden bei dieser
Erkrankung die Insulin produzierenden Beta-Zellen vom körper-
eigenen Immunsystem angegriffen und zerstört“, erklärt Dr.
Stefan Gölz, niedergelassener Diabetologe aus Esslingen. Das
fehlende Hormon muss lebenslang von außen zugeführt wer-
den. „Bei Diabetes mellitus Typ 1 geht es um die Kunst, durch
eine individuell gut angepasste Behandlung mit dem fehlenden
Hormon Insulin die Funktion der Insulin produzierenden Bauch-
speicheldrüsenzellen bestmöglich zu imitieren.“
Die Autoimmunreaktion beginnt meist schon früh im Leben des
Patienten, verläuft aber lange Zeit schleichend und ohne Symp
tome. Meistens – aber nicht immer – können Antikörper, die
gegen Insulin und Teile der Inselzellen gerichtet sind, durch eine
Blutuntersuchung schon Monate bis Jahre vor Ausbruch des
Diabetes nachgewiesen werden. „Wenn etwa 80 Prozent der
Beta-Zellen zerstört sind, reicht das noch vorhandene Insulin
nicht mehr aus, um genug Glucose in die Zellen einzuschleusen“,
erklärt Diabetologin Dr. Ursula Kurz vom Klinikum Esslingen.
Dazu kommt es häufig bereits in der Kindheit, meist bis zum 20.
Lebensjahr, selten auch im Erwachsenenalter.
Symptome: Durst, Harndrang,
Abgeschlagenheit und Gewichtsverlust
Innerhalb von Tagen bis Wochen treten dann die typischen
Symptome eines Typ 1-Diabetes auf: starker Durst, häufiger
Harndrang, Abgeschlagenheit, trockene, juckende Haut und
Gewichtsverlust. Denn wenn dem Körper die wichtigste Ener-
giequelle, der Zucker, nicht mehr zur Verfügung steht, greift er
auf seine Fettdepots zurück. Bei der Fettverbrennung entstehen
Ketonkörper, saure Zwischenprodukte des Fettstoffwechsels, die
zur Übersäuerung des Blutes führen und zudem die Insulinwir-
kung noch mehr blockieren. In der Folge riecht die Atemluft nach
Aceton (Geruch nach überreifem Obst oder Nagellackentferner).
„Zu diesem Zeitpunkt ist höchste Eile geboten, man sollte dann
dringend einen Arzt aufsuchen“, so Dr. Kurz.
Diabetes Typ 1 ist derzeit nicht heilbar. Die Betroffenen müssen
ihr ganzes Leben Insulin spritzen. „Die moderne Insulinersatz-
therapie hat zum Ziel, dass die Patienten ein möglichst norma-
les Leben führen können“, erklärt Dr. Kurz. Das bedeutet: auch
kein Verzicht beim Essen oder bei der Auswahl der Freizeitakti-
vitäten. „Wir können das mit einer intensivierten Hormonthera-
pie erreichen, die allerdings mit viel Eigenverantwortung und
Disziplin verbunden ist.“
Zum Verständnis: Die Menge an Insulin, die der Körper eines
gesunden Menschen ausschüttet, schwankt im Tagesverlauf.
Einen gewissen Grundbedarf an Insulin gibt die Bauchspeichel-
drüse fortlaufend ins Blut ab. Daneben schüttet sie zu den Mahl-
zeiten zusätzlich Insulin in sehr viel größeren Mengen aus, um
den neu aufgenommenen Zucker aus dem Blut in die Zellen zu
schleusen. Mediziner sprechen bei der ständigen Insulinaus-
schüttung von einer basalen Sekretion, bei den erhöhten Aus-
schüttungen zu den Mahlzeiten von einem Bolus.
Insulinmenge muss für jede Mahlzeit neu
berechnet werden
„Die intensivierte Therapie besteht aus der Kombination eines
lang wirkenden Insulins zur Deckung des Basisbedarfs mit einem
kurz wirkenden Insulin für die Kohlenhydrate der Mahlzeiten“,
so Dr. Gölz. Das bedeutet aber, dass die Menge für jede Mahlzeit
neu berechnet werden muss. Kohlenhydrate werden in Brotein-
heiten (BE) bestimmt. Die Insulindosis, die gespritzt wird,
berücksichtigt die Portionsgröße, Anzahl der BE, eventuelle kör-
perliche Betätigung und die aktuelle Blutzuckerhöhe. So ist die
Kontrolle des Blutzuckers vor jeder Injektion eines Bolus ein
wichtiger Bestandteil der Therapie. Weitere Tests können ein bis
zwei Stunden nach einer Mahlzeit sinnvoll sein, um zu überprü-
fen, ob die gespritzte Dosis richtig war. „Die Patienten sollten
ihren Blutzuckerwert ständig im Blick haben“, so Dr. Gölz. Das
bedeutet: messen – rechnen - spritzen – essen – messen. Eine
Taktvorgabe, die im Alltag nicht einfach umsetzbar ist.
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Typ 1:
Ein Leben mit der Spritze