42 Esslinger Gesundheitsmagazin
1 2014
Wirbelsäulenspezialisten
Professor Dr. Jürgen Harms (links) ist Spezialist für Wirbelsäulenerkran-
kungen mit internationalem Renommee. Er gehört zu den Mitbegrün-
dern der modernenWirbelsäulenchirurgie, verschiedene Operationstech-
niken und Implantatsysteme gehen auf ihn zurück. Professor Harms hat
an den Universitäten Frankfurt und Saarbrücken studiert, 1974 legte er
die Facharztprüfung für Orthopädie ab. Zwei Jahre danach erhielt er die
Professur für Orthopädie an der Universität Homburg. 1980 wechselte
er dann an das Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, wo er bis 2011 als
Leitender Arzt der Orthopädie und Wirbelsäulenchirurgie tätig war. Seit-
her ist der 69-Jährige privatärztlich und auch als Gastchirurg aktiv.
Dr. Oliver Dörr (rechts) ist seit Januar 2011 an der Klinik für Unfallchi
rurgie und Orthopädie am Klinikum Esslingen beschäftigt. Er verantwor-
tet hier den Bereich Wirbelsäulenorthopädie als Leitender Oberarzt. Stu-
diert hatte der 41-Jährige an der LMU München. Seine Zeit als Arzt im
Praktikum verbrachte er am Kreiskrankenhaus Perlach in der Chirurgie,
anschließend war er bis zur Facharztprüfung Chirurgie am Klinikum
Landau-Südliche Weinstraße tätig. Im Zuge der weiteren Spezialisierung
wechselte Dr. Dörr 2007 nach Langensteinbach in die Abteilung von
Professor Harms, erst als Assistenz-, später als Oberarzt. In dieser Zeit
absolvierte er die Facharztprüfung für Orthopädie und Unfallchirurgie
und erwarb die Zusatzbezeichnung für Manuelle Medizin/Chirotherapie.
>>>
Operation als letzte Option
Wirbelsäulenchirurgie bedeutet aber
nicht zwangsläufig Operation. Nicht bei
jedem Patient, der zu ihm in die Wirbel-
säulensprechstunde kommt, greift Dr.
Dörr gleich zum Skalpell: „Wenn möglich,
versuchen wir es zunächst konservativ.“
Dabei kommen klassische Methoden wie
Krankengymnastik, Massagen oder Chi-
rotherapie zum Einsatz. Zweite Option
sind dann interventionelle Verfahren wie
beispielsweise CT-gesteuerte Nervenum-
flutungen und Nervenverödungen. „Vor
allem bei Bandscheibenerkrankungen ist
man von der sofortigen Operation abge-
kommen“, so Dr. Dörr. Erst wenn ein
Bandscheibenvorfall zu Lähmungen und
Störungen bei der Blasen- und Darment-
leerung führt, ist eine Operation ange-
sagt. Eine schnelle Entscheidung pro Ope-
ration fällt dagegen meist bei Stenosen
(Enge des Spinalkanals mit Druck auf den
Nerv) wie auch bei den degenerativen Er-
krankungen, um einen weiteren Zerfall
der Wirbelsäule zu stoppen.
Allerdings braucht es nicht mehr für alle
Operationen an der Wirbelsäule einen
großen Schnitt. Bandscheibenvorfälle
und die Stabilisierung osteoporotischer
Wirbelbrüche durch das Einbringen eines
speziellen Zements (Kyphoplastie) etwa
werden hauptsächlich mit minimalinvasi-
ven Verfahren operiert. Der Anteil dieser
Schlüsselloch-Verfahren ist in der Wirbel-
säulenchirurgie inzwischen schon auf 40
Prozent gestiegen. „Und auch bei den
Indikationen, bei denen wir auf die offene
Operation nicht verzichten können, wie
etwa die degenerativen Altersverände-
rungen, werden die Zugänge immer klei-
ner“, sagt Dr. Dörr. Das bestätigt auch
Professor Harms: „Es ist schon immer
unser Ziel, das Trauma des Zugangswegs
zu reduzieren.“
Für jeden Fall ein Implantat
Mit ursächlich für die Zunahme der mini-
malinvasiven Verfahren sind die heute
verwendeten Materialien und Implantate.
„Vor 30 Jahren hatten wir zwei Implan-
tatsysteme zur Verfügung, eines für Ein-
griffe von vorne, eines für Eingriffe von
hinten“, erinnert sich Professor Harms.
„Heute sind es mehrere hundert Systeme
mit vielfältigen Eigenschaften und Fein-
heiten.“ Für jeden Fall gibt es somit das
passende Implantat. Da die Materialien
außerdem immer kleiner und flexibler
werden, benötigen sie immer kleinere
Zugänge und belasten dadurch den Pati-
enten immer weniger.
Minimalinvasive Verfahren und moderne
Materialien reduzieren das Operations
trauma, verringern den Blutverlust und
dadurch den postoperativen Schmerzmit-
telbedarf. Auch nach einer Wirbelsäulen-
operation werden die Patienten deshalb
möglichst früh mobilisiert – und auch
schon bald entlassen. Im Klinikum Esslin-
gen beträgt die durchschnittliche Liege-
dauer in der Wirbelsäulenchirurgie gerade
mal eine Woche. Nach Bandscheiben-
oder Halswirbeleingriffen dürfen die Pati-
enten in der Regel sogar schon am dritten
Tag nach der Operation nach Hause.
Als geheilt entlassen, das allerdings hat in
der Wirbelsäulenchirurgie eine eigene
Bedeutung. „Eine hundertprozentige Hei-
lung im Sinne von ´alles ist so wie vor der
Erkrankung´, das gibt es in der Wirbelsäu-
lenchirurgie nicht“, sagt Dr. Dörr. „Wir
nutzen bei den meisten operativen Ein-
griffen Implantate und die sind leider
starr, wodurch die Wirbelsäule unbeweg-
licher wird.“ Aber sie hat neue Stabilität,
sodass die Betroffenen wieder aufrecht
und schmerzfrei durchs Leben gehen kön-
nen. Dafür stehen Dr. Dörr und Professor
Harms gerne auch mal zehn Stunden am
Operationstisch.
wb