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2 2016

Esslinger Gesundheitsmagazin 23

Damit die multiresistenten Keime nicht ins Klinikum Esslingen

eingeschleppt werden, werden sogenannte Risikopatienten

daher getestet und wenn nötig isoliert. Zu diesen Risikopatien-

ten gehören z. B. Menschen, die schon einmal einen multi-

resistenten Keim hatten oder aus einem Risikoland kommen. In

vielen Ländern, wie zum Beispiel Griechenland oder Italien, sind

Antibiotika frei verkäuflich und der Umgang ist oft lascher und

unüberlegter. Resistente Bakterien können leichter entstehen

und werden durch den Reiseverkehr in Europa verbreitet.

„Die Testung von Risikopatienten ist eine Vorsichtsmaßnahme,

mit der wir den Patienten selbst und alle anderen Menschen im

Krankenhaus schützen wollen“, erklärt Dr. Jürgen Maier, Kran-

kenhaushygieniker. Denn wenn ein Patient einen solchen Keim

in sich trägt oder er sich infiziert, muss er isoliert werden. In

einem speziellen Zimmer, einem Isolierzimmer, wird er unterge-

bracht und intensiv betreut. Beim Betreten und Verlassen des

Zimmers müssen Ärzte und Pfleger Schutzkleidung anlegen,

damit sich keine Krankheitserreger verbreiten können. Die

Betreuung von Patienten mit resistenten Keimen ist sehr zeit-

aufwendig. Die Patienten sind bis zu 16 Tage länger im Kran-

kenhaus und müssen mit speziellen Antibiotika behandelt wer-

den. „Diese Medikamente sind sehr teuer“, sagt Professor Braun.

Denn Reserveantibiotika kommen zum Einsatz. Reserveantibio-

tika sind Antibiotika, die von der Weltgesundheitsorganisation

als besonders wertvoll eingestuft werden und wirklich nur im

Notfall eingesetzt werden sollen, wenn andere Antibiotika nicht

mehr wirken, weil sich zu viele Resistenzen gebildet haben. „Sie

sind wie eine Rückversicherung und können für Menschen die

letzte Rettung sein“, sagt Professor Braun. Weil diese Reserve-

antibiotika also relativ selten eingesetzt werden, haben sich

bisher relativ wenig Resistenzen gebildet, sprich: Sie wirken

noch sehr gut.

Damit sich bei der Gabe von Antibiotika keine Resistenzen bil-

den und mit dem richtigen Wirkstoff behandelt werden kann,

wird im Labor des Klinikum Esslingen ein Test vorgenommen. In

einer Petrischale wird eine Agarlösung aufgetragen und darauf

die Bakterien angesiedelt. Agar wird aus den Zellwänden einer

Algenart hergestellt. „Die Bakterien wachsen sehr schnell auf

dieser zuckerhaltigen Lösung“, sagt Dr. Maier. Es entsteht ein

Bakterienrasen. Um nun zu testen, welches Antibiotikum wirk-

sam ist, wird ein Plättchen mit einem Antibiotikum auf den

Bakterienrasen aufgelegt. „Hören die Bakterien unter dem Plätt-

chen auf zu wachsen, wirkt dieses Antibiotikum“, sagt Professor

Braun. Im Labor werden routinemäßig ca. 15 verschiedene Anti-

biotika getestet. Passt keines von denen, werden weitere Sub-

stanzen getestet.

Bei der Wahl des Antibiotikums wird darauf geachtet, dass es

für den Patienten gut verträglich ist, gegen den Keim wirkt und

vor allem keine Resistenzen erzeugt. „Wir arbeiten da eng mit

den Ärzten zusammen“, sagt Professor Braun. Im Klinikum Ess-

lingen gab es noch keinen Fall, dass die Ärzte kein passendes

Antibiotikum für die Behandlung des Patienten gefunden haben.

„Es ist auch weltweit eine Rarität, dass Menschen nicht behan-

delt werden können und dann sterben“, sagt Professor Braun.

Trotzdem dürfe man die Gefahr nicht unterschätzen.

Mit einem weitverbreiteten Irrglauben kann Professor Braun

aufräumen: „Es entstehen keine Resistenzen, wenn man das

Antibiotika früher absetzt“. „Die Gefahr ist eher, dass man noch

mal krank wird. „Denn die Bakterien fallen in eine Art Winter-

schlaf und nach einer gewissen Zeit rufen sie eine neue Infek-

tion hervor“, erklärt Professor Braun.

Antibiotika werden bei Infektionen verordnet, die durch Bakte-

rien hervorgerufen werden. Gegen Grippe- oder Herpesviren

helfen sie zum Beispiel nicht. Erst, wenn durch eine Erkältung

das Immunsystem geschwächt ist, und es dann zur einer bak-

teriellen Superinfektion kommt, verschreibt der Arzt Antibiotika.

„Auch bei einer Salmonellenvergiftung, die durch Bakterien

hervorgerufen wird, muss man nicht gleich zum Antibiotikum

greifen“, erklärt Professor Braun. Denn das Medikament hat

einen Nachteil: es zerstört nicht nur die krankmachenden Keime,

sondern auch die gesunde Darmflora.

Die Darmflora eines gesunden Menschen

enthält ein bis zwei Kilo Bakterien

„Wir brauchen Darmbakterien zum Überleben“, sagt Professor

Braun. Im Darm wird unter anderem ein wichtiger Stoff für die

Blutgerinnung synthetisiert, der Schlaf-Wach-Rhythmus gere-

gelt und das Immunsystem gestärkt. Werden aber zu viele nütz-

liche Bakterien abgetötet, leiden viele Menschen unter Durch-

fall und Bauchschmerzen.

Antibiotika werden aber nicht nur zur Behandlung von Infekti-

onen beim Menschen eingesetzt, sondern auch ganz gezielt in

der Tiermast. „Zehn Tonnen Antibiotika werden jährlich allein

in Deutschland verabreicht, doppelt so viel wie in der Human-

medizin“, sagt der Hygieneexperte Dr. Maier. Damit die Tiere in

den Mastbetrieben nicht krank werden, bekommen sie vorsorg-

lich Antibiotika. Ein Nebeneffekt ist, dass die Tiere schneller

Gewicht zulegen. „Die Tiere werden durch ganz Europa trans-

portiert. Dabei kommt es zu einem Mischpool an Tieren und

Keimen“, erklärt Professor Braun. Resistenzen können so leicht

entstehen und sich verbreiten. Rückstände der verschiedenen

Medikamente finden sich dann im Fleisch – und werden vom

Menschen aufgenommen. „Von Seiten der Ärzteschaft wurde

der hohe Verbrauch an Antibiotika in der Tierzucht immer wie-

der angemahnt“, sagt Professor Braun. Und mittlerweile sei die

Forderung auch bei der Politik angekommen. Um der Bildung

von Resistenzen vorzubeugen, ist der richtige Umgang jedes

Einzelnen mit Antibiotika wichtig. „Nehmen Sie das Medikament

so ein, wie es der Arzt verordnet hat und lesen Sie den Beipack-

zettel“, rät Professor Braun.

aw

„Es gibt Bakterienstämme,

die gegen alle ca. 50 Wirk-

stoffklassen der Antibiotika

resistent sind.“