Table of Contents Table of Contents
Previous Page  12 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 12 / 52 Next Page
Page Background

12 Esslinger Gesundheitsmagazin

1 2017

Je lipophiler (fettlöslicher)

das Anästhetikum,

desto stärker die Wirkung

Wie Narkose wirkt, darüber streitet sich

die Forschung nach wie vor. Einig ist man

sich, dass Benzodiazepine, Schmerz­

mittel und Muskelrelaxantien über

bestimmte Bindungsstellen, sogenannte

Rezeptoren, im Körper wirken. Sie binden

sich im Sinne einer Schlüssel-Schloss-

Wirkung an „ihre“ Rezeptoren und lösen

damit eine spezifische Wirkung aus. Die

Wirkstärke von Anästhetika hängt

wesentlich von ihrer Fettlöslichkeit

(Lipophilie) ab, da ihr Zielorgan, das

Gehirn, einen hohen Fettanteil aufweist.

„Wir nehmen an, dass u. a. der Grad der

Lipophilie eines Medikamentes seine

Wirkstärke bedingt“, erklärt PD Dr. Bis-

singer. Bei vielen Medikamenten kann es

aber zu einer sogenannten Verstoff-

wechselung (Metabolisierung) des

Anästhetikums kommen. Chemische

Stoffe, die dem Körper zugeführt werden,

werden in der Leber zu „Zwischenpro-

dukten“, die in manchen Fällen sogar

toxisch sein können. „Halothan ist ein

Beispiel für ein solches Medikament. Es

wurde abMitte der 50er Jahre verwendet

und wird heute wegen seiner möglichen

Nebenwirkungen bei uns nicht mehr ein-

gesetzt. In seltenen Fällen verband sich

nämlich das Halothan im Rahmen des

Abbauprozesses in der Leber mit körper-

eigenen Eiweißen. Das konnte zu einer

gegen die eigene Leber gerichtete Leber-

entzündung, einer sogenannte Auto­

immunhepatitis, führen. Idealerweise

wird ein Narkotikum aber gar nicht ver-

stoffwechselt. Dann gibt es auch keine

Nebenwirkungen“, erklärt PD Dr. Bissin-

ger weiter. Isufloran, ein volatiles Medi-

kament, hat einen sehr geringen Ver-

stoffwechselungsgrad, reizt allerdings als

typischer Ätherabkömmling die Atem-

wege. „Daher ist dieses Medikament bei-

spielsweise für Kinder nicht geeignet.

Wenn ein Kind den Geruch von Isufloran

wahrnimmt, weigert es sich, sich die

Inhalationsmaske überhaupt aufsetzen

zu lassen. Daher haben wir für Kinder ein

geeigneteres Inhalationsanästhetikum,

das die Atemwege viel weniger reizt und

daher bei Kindern auch gut angewendet

werden kann, das Sevofluran.“

Kinder in Narkose zu versetzen, kann für

den Anästhesisten eine besondere

Herausforderung sein. Vor allem wenn

ein Kind Angst vor dem Eingriff hat, ist

es besonders schwierig, die Narkose ein-

zuleiten. „Eltern tragen einen enorm gro-

ßen Teil zum Gelingen einer Narkose bei.

Wenn das Kind Zuhause schon gut auf die

Narkose und den Eingriff vorbereitet

wurde, verläuft in der Regel auch die Nar-

koseeinleitung ohne Probleme. Wenn

Eltern aber ihre eigenen Ängste auf das

Kind übertragen, kommt es oftmals vor

der Narkoseeinleitung zu Tränen und auch

nach der Narkose im Aufwachraum erle-

ben wir dramatische Szenen. So wie das

Kind einschläft, so wacht es in der Regel

auch auf“, berichtet Dr. Bissinger. Auch

bei Erwachsenen spielt die Einstellung zur

Narkose und ihrer Wirkung eine nicht zu

unterschätzende Rolle auf den Dosie-

rungs- und Aufwachprozess.

Nachwirkungen werden oft

unterschätzt

Während der Narkose wacht der Patient

nicht auf und er hat auch keine Schmer-

zen. Grund dafür ist, dass Dr. Bissinger

und die 29 weiteren Anästhesisten im

Klinikum stets für genug Narkotika,

Analgetika und Muskelrelaxantien sor-

gen, um eine ausreichende Narkosetiefe

zu gewährleisten. Durch das Titrieren der

Anästhetika können die Narkoseärzte

auch das Narkoseende und damit das

Aufwachen des Patienten genau steuern.

Das Ende einer Narkose ist allerdings

immer ein Prozess. Zwar wacht der

Patient nach Beendigung der Operation

schnell auf, ist aber damit noch lange

nicht wieder voll leistungsfähig. Dr.

Bissinger mahnt an: „Ich weise darauf hin,

dass am Tag der Operation eine aktive

Teilnahme am Straßenverkehr verboten

ist. Häufig ist die Reaktionsfähigkeit noch

zu stark eingeschränkt. Es dauert mindes-

tens einen Tag, bis keine Wirkung mehr

nachweisbar ist.“ Auch sollte ein Patient

nach einer Operation keine wichtigen

Entscheidungen treffen. Vor allem wenn

ambulant operiert wird, muss dem Pati-

enten klar gemacht werden, dass kogni-

tive Fähigkeiten und die Reaktionsbereit-

schaft noch deutlich eingeschränkt sind,

>>>

„Kinder haben einen größeren

Verteilungsraum als

Erwachsene, was das Mehr

an Narkotika bedingt.“

Ein weiterer negativer Aspekt des Rau-

chens besteht darin, dass sich das im

Zigarettenrauch enthaltene Kohlenstoff-

monoxid (CO) außerordentlich fest an das

Hämoglobin, das für den Sauerstofftrans-

port im Körper verantwortlich ist, bindet.

Das Kohlenstoffmonoxid verdrängt den

Sauerstoff und die Sauerstoffversorgung

des Körpers wird beeinträchtigt. Damit

der Anästhesist weiß, welche und wie viel

Narkosemittel er verabreichen darf, wird

vor einer Operation im sogenannten Nar-

kose-Vorgespräch abgefragt, ob der Pati-

ent raucht und/oder trinkt. „Ältere Men-

schen brauchen in der Regel weniger

Narkosemittel als Kinder“, erklärt er wei-

ter. „Kinder haben einen größeren Vertei-

lungsraum als Erwachsene, was das Mehr

an Narkotika bedingt.“ Um nicht unge-

wollt zu viele Medikamente zu verabrei-

chen, titrieren Anästhesisten die Dosis

individuell, das heißt, sie dosieren nach

Bedarf und beobachten, ab wann sich der

Patient im richtigen Narkosestadium

befindet.