Ausgabe 2 >2021

>>> 2 | 2021 Esslinger Gesundheitsmagazin 31 Zöliakie oder, je nach Alter des Patienten, Krebs. Erst wenn alle anderen Möglichkeiten „widerlegt“ werden können, wird davon ausgegangen, dass die Beschwerden von einem Reiz- darm verursacht werden. Reizdarm-Patienten sind übrigens häufiger Frauen als Männer. „Die Beschwerden beeinflussen den Alltag und das gesellschaft- liche Leben der Betroffenen beträchtlich“, sagt Dr. Steinwender- Glaser. „Der Leidensdruck ist oft so groß, dass Patienten bereit wären, Operationen in Kauf zu nehmen, wenn sie nur helfen würden.“ Auslöser sind vielfältig Die Ursachen eines Reizdarms sind nicht abschließend geklärt. „Es gibt wahrscheinlich nicht die eine exakte Ursache, sondern jeweils unterschiedlich viele Gründe“, sagt Dr. Vogt. Anstelle von Ursachen werden Auslöser oder Verstärker diskutiert. „Es lohnt sich hinter die Kulissen zu schauen“, so Dr. Steinwender- Glaser. „Die Beschwerden des Darms sind in den meisten Fällen Ausdruck der psychischen Verfassung des Patienten.“ Körper und Geist seien eng miteinander verbunden und es sei wichtig, den Patienten als Ganzes zu sehen. Oft stehe der Reizdarm im Zusammenhang mit Depressionen, Angst, oder Stress. „Ich frage meine Patienten, wie es ihnen abgesehen von ihren Beschwer- den geht, ob sie zufrieden sind mit ihrem Leben, ihrem Job, ihrer Partnerschaft“, sagt Dr. Steinwender-Glaser. „Man sollte sich die Zeit nehmen – und natürlich ist eine entsprechende Vertrau- ensbasis Voraussetzung – dann kommt man in der Diagnostik viel weiter.“ Ein weiterer Faktor, der eine Rolle spielen kann, sei eine mög- liche Störung, wie Reize des Magen-Darmtrakts wahrgenom- men werden: „In Studien wurde ein Ballon in den Enddarm von Reizdarmpatienten und Gesunden eingeführt und aufgeblasen“, berichtet Dr. Vogt. „Reizdarmpatienten nahmen viel früher Schmerz wahr.“ Dr. Marc Alexander Meinikheim, niedergelas- sener Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, bestätigt: „Im Vergleich zu gesunden Personen können Pati- enten mit einem Reizdarmsyndrom normale Verdauungsreize verstärkt wahrnehmen und diese Wahrnehmung dann als sehr unangenehm oder auch bedrohlich bewerten.“ Auch ein „erlerntes Krankheitsverhalten“ könne Einfluss auf Reizdarm-Beschwerden haben, so Dr. Meinikheim: „Lernen und Gedächtnisprozesse prägen nicht nur die Wahrnehmung, Bewertung und Bewältigung von Magen-Darm Symptomen, sondern sie beeinflussen auch das Berichten über diese Symp­ tome.“ Die familiäre Prägung, also wie etwa die Eltern mit Schmerzen umgegangen sind, könne beeinflussen, wie die Beschwerden wahrgenommen und bewältigt werden, bestätigt Dr. Steinwender-Glaser und Dr. Vogt erklärt: „Die einen neh- men Blähungen zur Kenntnis und andere stört es unheimlich.“ Patienten müssen individuell abgeholt werden Als Auslöser komme außerdem das postinfektiöse Reizdarm- syndrom, also Reizdarm nach Magen-Darm-Infekt, in Frage. Weitere mögliche Einflüsse seien eine Antibiotikatherapie, ver- änderte Fettsäuren-Muster im Stuhl, der hormonelle Status, oder genetische Prädispositionen. „Wichtig ist es, den Patienten abzuholen und nicht über seine Beschwerden hinwegzugehen – oder gar anzunehmen, er bilde sich die nur ein“, betont Dr. Steinwender-Glaser. Ähnlich individuell wie die Auslöser, sind die Behandlungs­ ansätze beim Reizdarm. „Es gibt keine allumfassende Standard­ therapie“, sagt Dr. Vogt. „Grundlage sind Basismaßnahmen hinsichtlich der Lebensführung: Nikotinkarenz, wenig Alkohol, genügend Bewegung, ausreichend Schlaf und Stressabbau.“ Bei großem Leidensdruck empfiehlt Dr. Steinwender-Glaser eine Psychotherapie, die von Krankenkassen unterstützt wird. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich eine Psychotherapie unmittelbar auf die somatische, körperliche Ebene auswirkt und Untersuchungen und Krankmeldungen weniger werden“, berich- tet Dr. Steinwender-Glaser. „Die psychischen Ursachen des Reiz- darms werden bearbeitet, die Patienten erfahren Erleichterung und können mit verbleibenden Symptomen besser umgehen.“ Patienten finden andere Lösungswege als den, ihre Probleme über den Darm zu artikulieren. Eigene Bemühungen, Stress und psychische Belastung zu reduzieren, seien ebenso hilfreich. Wenig Kohlenhydrate für weniger Gase Patienten, die normale Verdauungsreize als schmerzhaft emp- finden, könnten von einer kohlenhydratarmen Diät profitieren, so Dr. Vogt, etwa die sogenannte „low FODMAP-Diät.“ Dr. Pia-Maria Steinwender-Glaser Dr. Wolfgang Vogt Dr. Marc Alexander Meinikheim „ Wichtig ist es, den Patienten abzuholen und nicht über seine Beschwerden hinweg­ zugehen – oder gar anzunehmen, er bilde sich die nur ein.”

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