Ausgabe 2 >2019
2 2019 Esslinger Gesundheitsmagazin 39 Notfallpatienten mehr aufnehmen, weil sonst die Personaluntergrenze für diesen Bereich unterschritten worden wäre. Laut eines aktuellen Berichtes der Deutschen Krankenhausgesellschaft mussten 37 Prozent der Kliniken seit Einführung der Stellenschlüssel zeitweise Intensivbetten schließen. Das wirkt sich in letzter Konse- quenz natürlich auf die Patientenversor- gung aus. Die Sperrung von Betten und damit verknüpft die Abmeldung eines Krankenhauses von der Rettungsleitstelle führt dazu, dass Notfallpatienten unter Umständen weite Wege in Kauf nehmen müssen. Dr. Jürgen Zieger: Dabei zielt die Vorgabe der Personaluntergrenze ja eigentlich auf eine gesichert hochwertige Patientenver- sorgung ab. Offensichtlich wird vielerorts schon jetzt das Gegenteil erreicht. Und das ist erst der Anfang. Bereits für 2020 sind für weitere Fachbereiche Personalunter- grenzen vorgesehen. Die bisherigen sollen sogar noch verschärft werden. Eine frag- würdige Entwicklung, die das Grundpro- blem des Pflegepersonalmangels nicht berücksichtigt und somit nur bedingt Ent- lastung für das bestehende Personal mit sich bringt. Das heißt, die Pflegekräfte, zu deren Stär- kung die Maßnahmen initiiert wurden, profitieren nicht davon? Bernd Sieber: Sie profitieren insofern, als dass Bewegung in die Debatte kommt. Es war höchste Zeit, dass die Pflege stärker in den Fokus der Gesundheitspolitik rückt und man sich intensiv mit der Überlas- tungsproblematik und der damit verbun- denen Qualitätssicherung auseinander- setzt. Allerdings ist fraglich, ob eine Personaluntergrenze hierfür der richtige Ansatz ist. Sie läuft Gefahr, sich zum Min- deststandard, also zu einer legitimierten Norm zu entwickeln. Damit wäre das Ziel der Entlastung verfehlt. Stattdessen sollte man pro Krankenhaus individuelle Bemes- sungen des Pflegepersonalbedarfs in Abhängigkeit der Erkrankungsschwere der Patienten ermitteln. Die Versorgungs- struktur der Krankenhäuser ist sehr un- terschiedlich und bedarf individueller Anpassungen. Von Seiten der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des Deutschen Pflegerates und auch der Gewerkschaft Verdi gibt es bereits konkrete Vorschläge für die Entwicklung eines alternativen Bemessungsverfahrens, das dies berück- sichtigt. Dr. Jürgen Zieger: Ergänzend müssen sich die gemeinsamen Anstrengungen stärker denn je auf die Gewinnung und Ausbildung neuer Pflegekräfte fokussieren. Nur durch die Aufstockung des Fachpersonals kann eine spürbare Entlastung stattfinden. Der Pflegeberuf muss wieder attraktiv und der Nachwuchs gefördert werden – was ein- mal mehr unterstreicht, wie wichtig es ist, sich auch als Arbeitgeber gut aufzustellen. Man muss für neue, aber vor allem auch für die heutigen Mitarbeiter attraktiv sein und bleiben. Was tun Sie, um den Pflegeberuf zu stär- ken und das Klinikum für Mitarbeiter inte- ressant zu machen? Dr. Jürgen Zieger: Das Thema beschäftigt uns in Esslingen seit Jahren und die Maß- nahmen, die wir gemeinsam mit den städ- tischen Pflegeheimen und dem Klinikum zur Stärkung des Pflegeberufes in die Wege geleitet haben, greifen. Vom Audit berufundfamilie wurde das Klinikum erneut als familienfreundliches Kranken- haus ausgezeichnet, weil wir viele ver- schiedene Angebote für unsere Mitarbei- ter vorhalten, die ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Bernd Sieber: Wir haben beispielsweise eine Familienbeauftragte etabliert, die für all unsere Mitarbeiter als Ansprechpart- nerin zur Verfügung steht und das Ange- bot kontinuierlich erweitert. Neben der Kinderbetreuung während der Schulzeit bieten wir auch Kinderbetreuung in den Ferien an. Mitarbeiterwohnungen werden zur Verfügung gestellt, flexible Arbeits- zeitmodelle umgesetzt, VVS-Firmentickets subventioniert, Ladestellen für E-Bikes und E-Autos zur Verfügung gestellt. Und das sind nur einige Punkte aus einem umfang- reichen Programm. Wir tun was wir kön- nen, um unabhängig von den Bemühungen der Bundespolitik für unsere Mitarbeiter ein wertschätzendes, gutes Arbeitsklima zu schaffen. Schließlich trägt auch das maßgeblich zur Entlastung der Mitarbeiter und zur erfolgreichen Bewältigung der täglichen Herausforderungen bei. Und das spüren auch unsere Patienten. Das Gespräch führte Ursula Kächele von links: Bernd Sieber, Geschäftsführer des Klinikums Esslingen und Dr. Jürgen Zieger, Oberbürgermeister der Stadt Esslingen a. N.
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