Ausgabe 2 >2019

Neben den Empfehlungen der STIKO fließen aber auch indivi- duelle Faktoren in die Impfplanung ein: „Ich kläre ab, ob bei einem Kind angeborene Herz- oder Lungenerkrankungen vor- liegen oder ob aufgrund besonderer Lebensumstände zusätzlich zu den STIKO-Empfehlungen weitere Impfungen sinnvoll sind“, so Dr. von Butler. Regulär startet der STIKO-Impfkalender mit der Grundimmu- nisierung gegen Rotaviren, Tetanus, Diphterie, Keuchhusten, Kinderlähmung, Hepatitis B, Haemophilus influenza Zyp b (Hib) und Pneumokokken. Der erste Impftermin steht in der sechsten Lebenswoche an, Zweit- oder Dritt-Impfungen folgen im drit- ten und vierten sowie zwischen dem elften und vierzehnten Lebensmonat. Warum so früh? Professor Dr. Christian von Schnakenburg, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Esslingen, erklärt: „Gegen Ende der Schwangerschaft nimmt der Embryo über die Nabelschnur Antikörper der Mutter auf. Neugeborene verfügen daher vorübergehend über einen Nest- schutz, der sie gegen bestimmte Infektionen schützt. Das eigene Immunsystem ist im Säuglingsalter noch nicht ausgereift, des- wegen sollte der Impfschutz greifen, sobald der Nestschutz endet.“ Äußerst wichtig seien Schutzimpfungen für Frühgeborene, so Professor von Schnakenburg, denn die seien besonders anfällig für schwerwiegende Infektionen und verfügten nur über ein- geschränkten Nestschutz. „Wir empfehlen, die STIKO-Termine einzuhalten und unabhängig vom regulären Geburtstermin in der sechsten Lebenswoche mit dem Impfen zu beginnen. Zur Sicherheit impfen wir stationär und überwachen das Kind 48 Stunden lang in der Klinik, aber in der Regel verkraften Früh- geborene das Impfen gut.“ Nicht nur früh genug impfen sei wichtig, so Professor von Schnakenburg, sondern auch am Ball zu bleiben: „Der Impfka- lender endet nicht mit der Volljährigkeit. Erwachsene denken oft nicht an die nötigen Auffrischimpfungen. Der Schutz gegen Tetanus und Diphterie zum Beispiel muss alle zehn Jahre erneu- ert werden. Und auch Keuchhusten ist mittlerweile bei Erwach- senen häufiger als bei Kindern.“ Das Abwehrsystem fit machen Wie genau funktioniert eigentlich der Schutzmechanismus, der durch eine Impfung aufgebaut wird? Professor von Schna- kenburg erklärt: „Bei einer Impfung wird der Körper mit abge- schwächten oder abgetöteten Krankheitserregern in Kontakt gebracht. Das Abwehrsystem produziert daraufhin Antikör- per, die später vor einer erneuten Infektion schützen.“ Fast wie bei einer echten Infektion, nur ohne die entsprechenden Risiken. Doch was ist dran an der „Bauernweisheit“, dass Kinder eine stärkere Immunabwehr entwickeln, wenn sie Krankheiten tat- sächlich durchleben? „Das ist falsch“, sagt Professor von Schna- kenburg und warnt davor, Kinderkrankheiten zu verharmlosen: „Sie können teils schwere Komplikationen und Spätfolgen aus- lösen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Windpocken können zu Kleinhirnentzündungen führen und bei abwehrgeschwäch- ten Menschen tödlich verlaufen. Auch die hochansteckenden Masern können noch Jahre nach der Infektion in einem von 1.000 Fällen zu einer tödlichen Hirnenzündung führen. Röteln sind insbesondere eine Gefahr für Schwangere, sie können den Embryo schädigen. Mumps kann bei männlichen Patienten zu Unfruchtbarkeit führen.“ Individualschutz und gesellschaftliche Verantwortung Sowohl Dr. von Butler wie auch Professor von Schnakenburg betonen: Impfen dient nicht nur dem Individualschutz. Sie appellieren auch an die gesellschaftliche Verantwortung. Denn wer sein Kind impfen lässt, trägt dazu bei, dass auch Menschen, die – zum Beispiel aufgrund einer chronischen Krankheit– nicht geimpft werden können vor Ansteckung geschützt sind. „Las- sen sich genügend Menschen impfen, kann sogar verhindert werden, dass Krankheiten weiter auftreten. Man spricht dann von der sogenannten Herdenimmunität“, erklärt Dr. von Butler. Ein Positivbeispiel ist die Kinderlähmung (Polio): Aufgrund flä- chendeckender Impfungen gilt Europa heute als poliofreie Region. Trotzdem ist es weiter wichtig, sich impfen zu lassen, denn in Afrika und Asien existiert die Krankheit nach wie vor und könnte durch Reisende nach Deutschland eingeschleppt werden. Ein erneuter Ausbruch kann nur verhindert werden, wenn die Impfquote hierzulande hoch bleibt. Was bedeutet „hoch“ konkret? „Nehmen wir zum Beispiel die Masern“, so Dr. von Butler, „eine Impfquote von 95 Prozent würde ausreichen, um die Krankheit einzudämmen.“ Leider ist dies in Deutschland noch nicht gelungen. Immer wieder kommt es zu regionalen Ausbrüchen. In Baden-Württemberg sind die Fallzahlen sogar gestiegen: von 22 Fällen im Jahr 2016 auf 89 Fälle im Jahr 2018. Professor Dr. Christian von Schnakenburg 2 2019 Esslinger Gesundheitsmagazin 17 >>>

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