1 | 2024 Esslinger Gesundheitsmagazin 29 denen die Person eine sichere, innere Welt entwirft als Gegengewicht zur Gewalttat“, berichtet Nolting. „Wir zeigen auch, welche Verhaltensweisen sich positiv auswirken: Vernünftig essen, genug Schlaf, Verzicht auf Alkohol. Wichtig sind auch gute soziale Bindungen.“ Die zweite Phase, die Exposition, beginnt, wenn die Betroffenen ihre emotionale Stabilität zurückerlangt haben. Dann helfen die Therapeutinnen und Therapeuten dabei, sich mit dem Trauma auseinanderzusetzen. Die Konfrontation hilft, das Erlebte zu verarbeiten. In der dritten Phase, der Reintegration, geht es um Fragen wie: „Ich wurde vergewaltigt. Wie gelingt es mir, mich trotzdem wieder auf eine Beziehung einzulassen? Mein Kind wurde ermordet. Wie kann ich mit der Trauer weiterleben?“ Die Psyche ist stark Dr. Nolting weiß: Die menschliche Psyche ist gut darin, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. „Nicht jeder, der etwas Schlimmes erlebt hat, benötigt eine Therapie. Wichtig ist, dass die Betroffenen eine Anlaufstelle haben, dass sie wissen: An die Traumaambulanz kann ich mich wenden, wenn es mir doch mal schlechter gehen sollte. Wir unterstützen in der Regel bis zu einem Jahr nach der Tat, zum Beispiel auch, wenn es zu einem Gerichtsprozess kommt, bei dem das Opfer dem Täter noch einmal gegenübertreten muss.“ Circa ein Drittel der Opfer von Gewalttaten benötige über das ambulante Angebot hinaus Hilfe, so Dr. Nolting. „Entwickeln Betroffene Depressionen, Essstörungen, Angststörungen oder Störungen des Sexualverhaltens, behandeln wir sie an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Esslingen teilstationär oder stationär. Die Esslinger Traumaambulanz gibt es mittlerweile seit zehn Jahren. In dieser Zeit haben wir als Klinik hohe Kompetenzen in der Behandlung von Traumafolgeschäden aufgebaut.“ lj Dr. Björn Nolting Kontakt Klinikum Esslingen Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Traumaambulanz Dr. Björn Nolting, Chefarzt Telefon 0711 3103-3101 psychosomatik@klinikum-esslingen.de Zehn Jahre Traumaambulanz Die Traumaambulanz am Klinikum Esslingen geht zurück auf ein baden-württembergisches Modellprojekt: 2014 richtete das Sozialministerium an sechs Pilotstandorten Traumaambulanzen ein. Opfer von Gewalttaten sollten ein Betreuungsangebot bekommen, das unmittelbar nach der Tat einsetzt. Ziel war es, psychische Folgen und lange Krankheit oder Berufsunfähigkeit zu vermeiden oder zu vermindern. 2024 feiert die Esslinger Traumaambulanz ihr zehnjähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums findet am 16. Juni eine Fachveranstaltung statt. „Besonders freuen wir uns, dass wir Prof. Dr. Luise Reddemann, eine der renommiertesten Traumaforscherinnen hierzulande, als Rednerin begrüßen dürfen“, so Dr. Nolting. „Leider gibt es in Baden- Württemberg zu wenig Traumaambulanzen. Das Netz muss flächendeckend ausgebaut werden, so dass überall eine wohnortnahe Versorgung möglich ist.“ aufgestellten Teams auf den Stationen und Tageskliniken einbinden“, so Dr. Nolting. Das Angebot ist für die Betroffenen kostenlos, gesetzlich geregelt ist das im sogenannten Opferentschädigungsgesetz bzw. SGB XIV. In Baden-Württemberg haben die Betroffenen nach Antragstellung Anspruch auf bis zu fünf psychotherapeutische Sitzungen. Sollte das nicht ausreichen, können weitere zehn Sitzungen bei den zuständigen Versorgungsämtern beantragt werden. Wichtig nach einer Gewalttat sei, dass die Opfer möglichst bald Unterstützungsangebote bekommen. „Das Erstgespräch in der Traumambulanz findet innerhalb einer Woche nach der Kontaktaufnahme statt. In der ersten Sitzung machen wir uns ein grobes Bild davon, was passiert ist. Um die Betroffenen nicht zu stark zu belasten, gehen wir dabei nicht ins Detail. Vielmehr fokussieren wir uns darauf, herauszufinden unter welchen Symptomen jemand leidet.“ Typische Belastungsreaktionen: Flashbacks Menschen, die ein traumatisches Erlebnis hatten, zeigen häufig sogenannte akute Belastungsreaktionen. Typisch sind Flashbacks: Man rutscht plötzlich aus dem Alltag in das Geschehene zurück und durchlebt die Tat innerlich immer wieder. Ebenfalls häufig ist ein Zustand vegetativer Übererregtheit: Das Opfer befindet sich in permanenter Alarmbereitschaft, ist extrem angespannt und schreckhaft. Eine dritte, charakteristische Reaktion ist die Vermeidung von Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen: Jemand, der in der S-Bahn niedergeschlagen wurde, fährt nicht mehr mit der Bahn. Viele würden solche Symptome als eine Art zweiten Kontrollverlust erleben, so Nolting: „In der Traumambulanz helfen wir, Symptome richtig einzusortieren. Wir erklären, dass akute Belastungsreaktionen normale psychische Reaktionen auf ein außergewöhnliches Ereignis sind. Dieses Wissen bewirkt, das man sich seinen Gefühlen weniger ausgeliefert fühlt.“ Was hilft Betroffenen noch dabei, ins Leben zurückzukehren? „Eine Traumatherapie gliedert sich in der Regel in drei Phasen: Stabilisierung, Exposition und Reintegration“, erklärt Dr. Nolting. In der ersten Phase sollen die Betroffenen emotional entlastet werden und lernen, sich selbst Sicherheit zu geben. „Hilfreich sind da zum Beispiel Imaginationsübungen, bei
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