Ausgabe 1 >2023

1 | 2023 Esslinger Gesundheitsmagazin 21 „Die Kinder sind eigentlich noch nicht bereit, auf der Welt zu sein“, so Oberärztin Britta Brenner. Sie leitet am Klinikum Esslingen die Neonatologie, eine Intensivstation speziell für extrem früh oder krank geborene Kinder. Damit die kleinsten Patientinnen und Patienten sich außerhalb des Mutterleibes sicher entwickeln können, ist die Station mit modernster Medizintechnik ausgestattet: Von Inkubatoren und speziellen Beatmungsgeräten bis hin zu diagnostischen Apparaten wie Röntgen, Sonographie oder Echokardiographie. „Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe“, so Brenner. „Unser Team ist hochspezialisiert und multiprofessionell aufgestellt: Fachärztinnen und Ärzte für Neu- und Frühgeborenenmedizin, pädiatrische Intensivpflegekräfte und Expertinnen und Experten aus der Kinderradiologie, Physiotherapie oder Logopädie. Zudem gibt es hier eine Kinderchirurgie. Neugeborene mit komplexen Fehlbildungen können bei Bedarf direkt bei uns im Haus operiert werden und müssen nicht in eine andere Klinik verlegt werden.“ Rund 450 bis 500 früh und krank geborene Kinder werden jedes Jahr auf der Neonatologie versorgt – darunter auch extrem früh geborene Kinder wie Nika. Nach ihrer Geburt liegt Nika im Inkubator, wird beatmet und über eine Magensonde ernährt. Für die Eltern beginnt eine sorgenvolle Zeit. „Ich erinnere mich, dass ich an einem der ersten Tage im Parkhaus des Klinikums stand und überlegte: Löse ich ein Tagesparkticket? Oder gleich ein Monatsticket? In meinem Kopf überschlugen sich die Fragen: Schafft unsere Tochter das? Wie lange bleiben wir hier? Was kommt noch alles auf uns zu?“ so Aleksandar Djordjevic. „Ziemlich früh stellte sich bei mir aber das Gefühl ein: Klar, schaffen wir das. Da war ein Vertrauen in das Team der Neonatologie, in die Situation. Vor meinem inneren Auge konnte ich uns mit Nika schon zuhause sehen.“ Mut machen „Leider gehen nicht alle Geschichten gut aus, auch wenn alle Beteiligten ihr Möglichstes tun“, sagt Britta Brenner. Sie und ihr Team wollen den Eltern Mut machen, aber nichts beschönigen. „Wie ein Frühgeborenes sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab und es können jederzeit Veränderungen eintreten. Wir vermitteln den Eltern: Der Weg wird mal bergauf und mal bergab gehen. Wichtig ist, dass die Kurve insgesamt stetig aufwärts geht.“ Bei Nika geht sie aufwärts: Nach einem Monat atmet das Kind selbstständig. Sie erreicht die Ein-Kilo-Marke. Sie erreicht die Zwei-Kilo-Marke. Insgesamt dreieinhalb Monate verbringt Nika im Klinikum Esslingen. Ihre Eltern sind täglich bei ihr. „Es gab keine Besuchszeiten. Wir konnten zu jeder Tages- und Nachtzeit bei Nika sein.“ „Man muss Vätern und Müttern von Frühgeborenen Zeit geben, in ihre Elternrolle hineinzuwachsen“, weiß Britta Brenner. Deswegen bietet das Klinikum Esslingen „RoomingIn“ an: Es gibt Zimmer, in denen Mutter und Kind gemeinsam liegen können. „Eltern sind bei uns keine Besucher, sie sind Teil des Teams“, so Brenner. Selbst in den Corona-Jahren konnten Eltern immer zu zweit zu ihren Babys. „Durch die vielen Testungen hatten wir nie einen Corona-Fall.“ Familienzentralisierte Pflege Brenner weiß auch: „Anfangs steht bei den Eltern oft erst einmal Überforderung. Bei uns gibt es Psychologen und Seelsorger, an die sie sich wenden können. Gleichzeitig nehmen wir Ängste, indem wir die Eltern anleiten und sehr früh in die Versorgung ihrer Kinder mit einbinden. Die Eltern sollen zu Fachleuten für ihr Kind werden. Das gibt Selbstvertrauen.“ Das findet auch Aleksandar Djordjevic: „Für uns war es sehr wichtig, dass wir nicht nur Zuschauer waren, sondern etwas tun konnten. Das nahm einem das Gefühl der Machtlosigkeit.“ „Unsere familienzentralisierte Pflege nutzt nicht nur den Eltern, sondern auch den Kindern“, betont Britta Brenner. „Studien zeigen: Die Stimme, der Geruch, der Körperkontakt – all das fördert die Entwicklung des Kindes. Aus diesem Wissen heraus setzen wir auch seit langem schon auf die sogenannte Känguru-Pflege: Sobald die frühgeborenen Kinder stabil sind, können sie über Stunden auf der Brust ihrer Mutter oder ihres Vaters liegen.“ Muttermilchernährung wird gefördert Die Bindung, die beim „Kangorooing“ entsteht, wirke sich bei der Mutter auch positiv auf die Milchbildung aus: „Die Ernährung mit Muttermilch hat viele positive Effekte, vor allem stärkt sie das Immunsystem. Um das Stillen zu fördern, stehen den Müttern bei uns zertifizierte Stillberaterinnen und speziell ausgebildete Pflegekräfte zur Seite. Sind die Kinder zu schwach, um die Brust zu nehmen, können die Mütter Milch abpumpen und auf der Station in einem speziellen Kühlschrank lagern.“ Für Mütter, die nicht stillen können, hat das Team der Neonatologie seit neuestem ein besonderes Angebot: „Dank einer Kooperation mit einer Frauenmilchbank haben die Kinder Zugang zu Spendermilch.“ Auch Nikas Mutter konnte ihr Kind mit Muttermilch ernähren. „Erfolge wie diese haben wir gemeinsam mit dem Stationsteam gefeiert. Die Pflegekräfte haben Fotos von Nikas erstem Bad gemacht. Als Nika ein Kilo auf die Waage brachte, wurden wir mit einem Luftballon begrüßt. Als es dann Zeit war, nach Hause zu gehen, haben sich alle riesig gefreut. Aber wir haben beim Abschied auch ein paar Tränen verdrückt. Wenn man so eine lange Zeit miteinander verbringt, wächst man eng zusammen.“ Britta Brenner >>> „ Als Perinatalzentrum Level 1 bieten wir am Klinikum Esslingen die höchste Versorgungsstufe.”

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