Ausgabe 1 >2021

1 | 2021 Esslinger Gesundheitsmagazin 7 „Ich war überrascht. Schockiert“, erinnert sich Günter Rudolf. Im November 2020 stellt der Hausarzt bei dem 67-Jährigen Blut im Stuhl fest. Er ordnet weitere Untersuchungen an. Nur wenige Tage später muss Rudolf sich übergeben und bekommt schwallartige Blutungen aus dem Darm. Er fährt sofort in die Notaufnahme des Klinikum Esslingen. Dort stellt sich heraus, dass eine Krampfader in der Speiseröhre aufgebrochen ist. „Solche sogenannten Ösophagusvarizen-Blutungen sind eine häufige Komplikation bei Patienten mit Leberzirrhose“, erklärt Professor Dr. Henning Wege, Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Onkologie, Hämatologie, Gastroenterologie und Infektiologie. „Bei einer Zirrhose ist das Lebergewebe ver- narbt. Das Blut fließt nicht mehr richtig durch das Organ, es staut sich an der Pfortader vor der Leber. Dadurch entsteht ein Bluthochdruck, die Gefäße weiten sich und im Magen oder der Speiseröhre können sich Krampfadern bilden. Werden diese nicht behandelt, reißen sie im schlimmsten Fall.“ Eine lebens- bedrohliche Situation für Leberzirrhose-Patienten wie Günter Rudolf. „Professor Wege konnte die Krampfader veröden. Zunächst ging also alles gut“, berichtet dieser. Die Leber leidet stumm Die akute Bedrohung durch die Krampfader ist vorerst besei- tigt. Doch wodurch wurde Günter Rudolfs Leber so stark geschädigt, dass die Komplikation auftreten konnte? Bei dem Rentner aus Esslingen wurde im Jahr 2000 die Erbkrankheit Hämochromatose entdeckt. Diese führt dazu, dass sich zu viel Eisen in der Leber ablagert und kann als Spätfolge eine Leber- zirrhose auslösen. „Bis zu dem Tag, an dem die Krampfader aufgebrochen ist, habe ich aber ein beschwerdefreies Leben geführt“, sagt Rudolf. Dass Betroffene lange keine Symptome verspüren, sei typisch für einen Leberschaden, so Professor Dr. Wege: „Die Leber leidet stumm. Sie enthält keine Nerven und ist schmerzunempfindlich.“ Wenn Symptome auftreten, sind diese im Frühstadium häufig diffus: Müdigkeit, Konzentrations- störungen oder ein Druckgefühl im Oberbauch. Typische äußere Anzeichen wie eine Gelbfärbung der Haut und Augen oder der Verlust des Brusthaars bei Männern treten meist erst spät auf. Dr. Marc Alexander Meinikheim Zentrales Stoffwechselorgan Auch wenn wir unsere Leber im Normalfall nicht wahrnehmen, ist sie ein überlebenswichtiges Organ. Die rund 1,5 Kilogramm schwere Drüse ist die Stoffwechselzentrale unseres Körpers: Sie reguliert den Fett- und Zuckerstof fwechsel sowie den Mineral- und Vitaminhaushalt und speichert Zucker, Fette und Vitamine. Sie produziert lebenswichtige Substanzen, zum Beispiel für die Blutgerinnung. Auch die Galle, mit deren Hilfe wir Fette verdauen, wird in der Leber hergestellt. Zudem ist die Leber für die Entgiftung des Körpers zuständig und baut zum Beispiel Alkohol oder Medikamente ab. Die Leber wird of t als unsere körpereigene Chemiefabrik bezeichnet. In jeder Minute werden 1,5 Liter Blut durch diese Fabrik gepumpt und „verarbeitet“ – fast 2.000 Liter am Tag. Die biochemischen Reaktionen, die in den Leberzellen ablau- fen, sind so hochkomplex, dass sie weder von einem anderen Organ übernommen, noch durch technische Geräte ersetzt werden können. Gut, dass die Leber so widerstandsfähig ist: Sie erfüllt ihre Aufgaben auch dann noch, wenn sie geschädigt ist und kann sich sogar selbst reparieren – beides allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. „Wenn Lebererkrankungen früh diagnostiziert werden, gelingt es im Idealfall einen irrepa­ rablen Schaden zu verhindern oder lange hinauszuzögern“, sagt Professor Wege. Professor Dr. Henning Wege „ Die biochemischen Reak­ tionen, die in den Leber­ zellen ablaufen, sind so hochkomplex, dass sie weder von einem anderen Organ noch medizintechnischen Geräten ersetzt werden können.“ >>> Das Leberzentrum am Klinikum Esslingen Das Zentrum wurde 1995 gegründet. Für Patienten mit akuten und chronischen Lebererkrankungen bietet es eine umfassende Diagnostik sowie eine hochkompetente und interdisziplinäre Betreuung und Behandlung. Herzstück des Zentrums ist die Lebersprechstunde, in der die für den jeweiligen Patienten nötigen Diagnose- und Therapiemaß- nahmen besprochen und in die Wege geleitet werden. Um für die Patienten das bestmöglichste Ergebnis zu erzielen, arbeitet das Zentrum eng und sehr gut mit den niedergelassenen Haus- und Fachärzten im Landkreis zusammen.

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