Ausgabe 1 >2020

34 Esslinger Gesundheitsmagazin 1 | 2020 Morbus Menière Auch die sogenannte Morbus Menière Erkrankung wird durch Falschmeldungen aus dem Innenohr ausgelöst und verursacht starken Drehschwindel. Im Unterschied zum Lagerungsschwindel dauern die Attacken mehrere Stunden an. „Bei der Untersuchung sieht man unwillkürliche zuckende Augenbewegungen. Typischer- weise ist der Schwindelanfall verbunden mit einseitiger Hörver- schlechterung, Ohrgeräuschen (Tinnitus) sowie Übelkeit“, erklärt HNO-Arzt Dr. Westenberger. Morbus Menière kommt seltener vor als ein Lagerungsschwindel. Statistisch tritt die Krankheit am häufigsten zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr auf und betrifft Frauen öfter als Männer. Genaue Ursachen und Auslöser sind bisher nicht erforscht. Man nimmt an, dass bei der Krankheit zu viel Flüssigkeit im Innenohr produziert wird. Dadurch entsteht ein Überdruck, bis eine feine Membran einreißt. Dies führt zu der Funktionsstörung von Hörzellen und Gleichgewichtszellen. Der Verlauf der Menièr‘schen Erkrankung fällt individuell sehr unterschiedlich aus. „In der Regel nimmt die Häufigkeit und Intensität der Schwindelattacken mit der Zeit ab. Allerdings kann sich im Verlauf auch die Hörfähigkeit verschlechtern, im schlimmsten Fall ertaubt der Patient auf dem betroffenen Ohr“, so Dr. Westenberger. Morbus Menière ist nicht heilbar. „Im akuten Stadium lindern Medi- kamente die starken Symptome. Andere Medikamente werden ein- gesetzt, um die Häufigkeit der Anfälle zu verringern. Wenn das nicht ausreichend hilft, gibt es die Möglichkeit, mit der Injektion eines Medikaments durch das Trommelfell hindurch das Gleichge- wichtsorgan dauerhaft in seiner Funktion zu dämpfen und damit die Schwindelattacken zu beseitigen. Weil durch diese Therapie auch die Hörfunktion leiden kann, wird sie nur bei schon bestehen- demHörschaden eingesetzt“, sagt Dr. Westenberger und fügt hinzu: „Ich empfehle meinen Patienten ein Gleichgewichtstraining, um die Folgen der Schwindelattacken schnell zu überwinden.“ Akuter Vestibularisausfall (Neuropathia vestibularis) Störungen im Innenohr können nicht nur Attacken, sondern auch einen länger anhaltenden Dauerschwindel, eine Neuropathia vestibularis, auslösen. „Diese Form des Innenohrschwindels ist ebenfalls gekennzeichnet durch einen plötzlich einsetzenden Dreh- schwindel, ein Gefühl wie im Karussell, verbunden mit Übelkeit und Brechreiz. Der Schwindel kann mehrere Wochen dauern, ist typi- scherweise am ersten Tag am heftigsten und klingt im Lauf der Zeit ab, ist dann nur noch bei schnellen Kopf- oder Körperbewegungen vorhanden“, beschreibt Dr. Westenberger das Krankheitsbild. In manchen Fällen kommt es bei dieser Funktionsstörung des Innenohr-Gleichgewichtsorgans auch zu einer akuten Hörver- schlechterung durch eine Beteiligung des Innenohr-Hörorgans, der Hörschnecke. Dann hat man einen Hörsturz, also einen akuten einseitigen Hörverlust, mit gleichzeitigem Schwindel. Ebenso wie beim Hörsturz ist die eigentliche Ursache des Vesti- bularisausfalls noch nicht abschließend erforscht. Die wirksamste Therapie im akuten Stadium ist die kurzfristige, hochdosierte Cortisontherapie. Zu Beginn können zusätzlich schwindeldämp- fende Medikamente eingesetzt werden. Im weiteren Verlauf ist ein Gleichgewichtstraining und viel körperliche Bewegung ent- scheidend dafür, dass man sich wieder sicher bewegen kann. Zentrale Schwindelformen Es sind nicht nur Falschmeldungen aus dem Innenohr, die unser Gleichgewicht durcheinanderbringen können. Auch wenn das Gleichgewichtszentrum imGehirn geschädigt ist, kann das Schwin- delattacken auslösen. Zum Beispiel bei einem Schlaganfall: „Starker Drehschwindel, in Kombination mit Doppelbildern, Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühlen, Seh- oder Sprach- störungen sind ernstzunehmende Alarmzeichen. Der Betroffene sollte sofort ins Krankenhaus – ein Schlaganfall muss schnellst- möglich behandelt werden“, so Neurologe Professor Reinhard. Ebenso kann eine sogenannte vestibuläre Migräne sich auf das Gleichgewichtszentrum auswirken und Drehschwindel auslösen. In seltenen Fällen sind es Tumore, die auf den Hirnstamm drücken. Weitere Ursachen für Schwindel Oft sind Auslöser für Schwindel weder im Ohr noch im Gleichge- wichtszentrum verordnet. „Beschreibt der Patient den Schwindel als diffuse, ungerichtete Attacke oder als Gefühl der Benommen- heit, kann zum Beispiel eine innere Erkrankung vorliegen“, so Prof. Reinhard. „Ein zu niedriger Blutdruck im Stehen oder Unterzucker kann verantwortlich sein.“ Tritt heftiger Schwindel plötzlich auf und schildert der Patient zusätzlich Symptome wie Schmerzen oder Enge im Brustkorb, Atemnot oder Übelkeit, kann auch ein Herzinfarkt vorliegen. Zuletzt kann Schwindel auch auf psychische Erkrankungen hinweisen. „Der sogenannte phobische Schwindel, der im Zusam- menhang mit Angststörungen auftritt, ist sogar eine der häufigs- ten Schwindelformen“, stellt Professor Reinhard fest. Nicht selten tritt dieser Schwindel infolge einer vorübergehenden tatsächlichen Störung des Gleichgewichtsinns auf – trotz Besserung der Gleich- gewichtsfunktion tritt dann eine ängstliche Unsicherheit in den Vordergrund. Dabei lösen bestimmte Situationen wie Menschen- mengen, eine Liftfahrt, oder das Überqueren großer Plätze regel- mäßig Schwindel aus. Bei anhaltenden Beschwerden empfiehlt der Neurologe eine Verhaltenstherapie, in der die Betroffenen lernen, mit ihren Ängsten umzugehen. Ängstliche Fixierung vermeiden „Für alle Schwindelformen gilt: Wichtig ist immer, unter den vielen möglichen Ursachen die individuell zutreffende ausfindig zu machen und dann gezielt zu behandeln“, betont Professor Reinhard. Zum Abschluss rät er: „Schwindel bedeutet für die Betroffenen meist auch ein starkes Gefühl der Verunsicherung und löst Ängste aus. Versuchen Sie trotzdem, den Schwindel nicht zum lebensbestimmenden Thema zu machen.“ Denn, so der Experte, unser Gehirn lernt mit der Zeit, mit Schwindel umzu­ gehen: „Schonung und ängstliche Fixierungen verschlimmern die Situation. Eine baldige Aktivierung und Mobilisierung, eventuell begleitet von entsprechender Krankengymnastik, trägt dagegen dazu bei, dass das Gleichgewichtssystem sich neu orientiert. So kehrt auch das Selbstvertrauen in die eigene Stand- und Gang- sicherheit zurück.“ lj >>>

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