Ausgabe 1 >2018
1 2018 Esslinger Gesundheitsmagazin 35 Es gibt verschiedene Wege, ein Kind in Narkose zu bringen: durch den venösen Zugang und durch eine Inhalationsmaske. Wie sehen diese Verfahren aus? Es gibt die TIVA, die totale intravenöse Anästhesie. Man leitet mit Propofol, einem Hypnotikum, die Narkose ein und hält sie die ganze Zeit über durch eine Spritzenpumpe aufrecht. Der Vorteil hier- bei ist, dass es im Anschluss der Narkose seltener zu Übelkeit kommt. Aber es gibt auch Nachteile. Bei längerfristiger Propo- folanwendung kann es zu einem soge- nannten Propofolinfusionssyndrom und damit zu Herzrhythmusstörungen und Muskeluntergang beim Kind kommen. Das ist allerdings sehr selten. Ein weiterer Nachteil der TIVA ist, dass ich als Anäs- thesist nie genau weiß, wie viel der Medi- kation beim Kind ankommt, denn die Verteilungsräume im Körper sind ganz anders als beim Erwachsenen. Sie spielen darauf an, dass ein Kind mehr Medikamente benötigt, als ein Erwachsener. Genau, zumindest in der Relation zum Gewicht bzw. zur Größe des Patienten. Das scheint zunächst widersprüchlich zu sein, dass ein so kleiner Mensch mehr Medikamente benötigt. Es hat aber damit zu tun, dass Kinder viel mehr Flüssigkeit im Körper haben als Erwachsene. Die Medikamente werden aber in die Flüssig- keit gespritzt. Um eine Wirkung zu erzie- len, brauche ich also mehr Medikamente, um die gleiche Konzentration zu erzielen. Man kann es sich so vorstellen: Je mehr Wasser ich in einem Glas habe, desto Bei vielen Menschen ist auch die Angst vor einem postoperativen Delir, also einer starken Orientie- rungslosigkeit und Vergesslichkeit, groß. Können Sie Eltern beruhigen, die Angst vor einem Delir bei ihrem Kind haben? Zunächst einmal macht man keine Nar- kose zum Selbstzweck, sondern aus einem bestimmten Grund. Das Delir entsteht aus der gesamten Situation heraus. Es findet ein Eingriff statt und damit auch eine Ver- letzung von Gewebe. Der Heilungsprozess des Gewebes bleibt nicht nur auf die ver- letzte Stelle beschränkt, sondern er findet im ganzen Körper statt. Dabei werden Substanzen frei gesetzt, die unter Ande- rem den Kopf durcheinander bringen können. Das ist die Hauptursache eines Delirs. Eine Narkose ohne OP würde nicht zu einem Delir führen. Das Delir ist vor allem bei älteren und schwerkranken Menschen ein Thema, die ohnehin Schwierigkeiten haben, sich in fremden Umgebungen, wie es die Klinik für sie darstellt, orientieren zu können. Ein postoperatives Delir beim Kind hingegen ist äußerst selten. Dürfen die Eltern mit in den OP? Nein, das geht aus hygienischen Gründen nicht. Die Eltern sind im sogenannten „Holding room“ dabei, also in dem Raum, wo dem Kind bereits ein EKG und ein Venenzugang gelegt werden. Anstatt der Eltern darf das Kind aber ein Kuscheltier in den OP mitnehmen. Der Arbeitsplatz im OP wird vor Einschleusung des Kindes so gut vorbereitet, dass die Zeitspanne zwischen Trennung von den Eltern und Beginn der Narkose so kurz wie möglich gehalten wird. Nach der Operation dürfen die Eltern im Aufwachraum von Anfang an beim Kind sein, um auch hier die Tren- nung so kurz wie möglich zu halten. Wir kommen jährlich auf über 1.000 Kindernarkosen. >>> mehr Sirup benötige ich, um den gewünschten Geschmack zu erzielen. Ein weiterer Grund ist, dass die Medikamente anders verstoffwechselt werden als beim Erwachsenen und die Rezeptoren für die Medikamente zum Teil noch anders angelegt oder nicht ausgereift sind. Zur ück zur T IVA. Was wäre die Alternative? Die Narkoseeinleitung erfolgt in den meisten Fällen über die Venen. Zur Auf- rechterhaltung arbeite ich aber vor allem mit Narkosegasen. Dabei kann ich genau messen, wie viel ich dem Kind verabreiche und wie viel es wieder abatmet. Damit habe ich ein eindeutiges Monitoring davon, was beim Kind angekommen ist. Ein weiterer Vorteil ist, dass es unter Nar- kosegas viel seltener zur sogenannten Awareness, also der intraoperativen Wachheit kommt, als unter einer TIVA. Der Nachteil des Narkosegases ist, dass es im Anschluss der OP häufiger zu Erbre- chen kommt. Wenn Kinder sehr kleine Venen haben und die Punktion dementsprechend schwierig wird, kann die Narkose auch über eine Maske mit Gas eingeleitet werden und der Venenzugang erst beim schlafenden Kind gelegt werden. Bei erfahrenen Kinderan- äshtesisten ist dies eine sehr elegante und für die Kinder stressarme Methode, die häufig angewendet wird. Welche Eingriffe sind bei Kindern besonders häufig? Wir in Esslingen verfügen über ein Peri- natalzentrum Level I, das heißt, Dr. Marquardt im „Holding room“
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