Ausgabe 1 >2018
1 2018 Esslinger Gesundheitsmagazin 29 „Wir entfernen nur so wenig Gewebe wie unbedingt erforderlich, also den Tumor mit einem sogenannten Sicher- heitssaum.“ Für einige Patientinnen ist diese Vorgehensweise schwer zu verste- hen, denn sie glauben, dass eine größere Gewebeentnahme mehr Sicherheit bedeutet. Allerdings ist ein Tumor kein perfekt rundes Gebilde, sondern verfügt über eine unregelmäßige Struktur. Diese Struktur kann man nicht sauber mit einem Skalpell entfernen „Daher können einzelne ver sprengte Tumorzellen zurückbleiben, die wir nur mit anderen Therapiemodalitäten effektiv zerstören können“, sagt er. Dazu zählt neben der medikamentösen Behandlung mit einer Chemo-, Antikörper- oder Hormon- therapie auch die Bestrahlung. „Die Studien der letzten 30 Jahre haben bewiesen, dass eine Kombination aus einer s chonenden Oper ation mit anschließender Bestrahlung eine gleich hohe Überlebensrate vorweist, wie die Brustamputation“, betont Professor Kühn. „Zudem ist die Lebensqualität der Patientinnen deutlich höher“, ergänzt PD Dr. Bottke. Die Nebenwirkungen der Operation sind geringer und auch die enorme psychische Belastung durch die Amputation der Brust entfällt. Operation der Lymphknoten Die Radikalität bei der Operation von Brustkrebs beschränkte sich nicht nur auf die Amputation der Brust, sondern bedeutete bis vor 15 Jahren für die Patientin auch die Entfernung aller Lymphknoten aus der Achselhöhle. Dadurch sollte verhindert werden, dass Tumorzellen durch das lymphatische System im Körper verteilt werden und sich Metastasen bilden. Die Folge der radikalen Entfernung ist ein Lymph- ödem, also eine Flüssigkeitsansammlung zwischen den Zellen. Dies kann zu einer massiven Armschwellung führen, die erhebliche Beschwerden mit sich bringt. Umfangreiche Studien, an denen Pro- fessor Kühn maßgeblich beteiligt war, haben auch in diesem Fall gezeigt, dass eine radikale Operation nicht notwendig ist. Durch die Analyse des sogenannten Wächterlymphknotens, also des Lymph- knotens der der Brust am nächsten steht, lässt sich durch den Pathologen feststellen, ob dieser Lymphknoten von Tumorzellen befallen ist. „Wenn der Wächterlymphknoten nicht befallen ist, dann sind auch die anderen Lymphkno- ten tumorfrei und müssen nicht entfernt werden“, erklärt Professor Kühn. Die erste Studie dazu hat der Spezialist für Brustkrebs 1997 veröffentlicht und die Verlässlichkeit bis 2004 in verschiede- nen weiteren Studien nachgewiesen. Seit sieben Jahren ist in den Leitlinien zur Behandlung von Brustkrebs nun festgelegt, dass die radikale Entfernung von axillären Lymphknoten nur noch dann durchgeführt werden soll, wenn die gewebliche Feinuntersuchung auf Tumorzellen am Wächterlymphknoten positiv war. In den letzten Jahren wurde die Radikalität der Operation der Lymph- knoten noch weiter reduziert. „Wir wis- sen heute, dass wir selbst bei einem geringen tumorösen Befall der Achsel- lymphknoten keine radikale Lymph knotenausräumung durchführen müs- sen“, sagt Professor Kühn. Denn die anschließende Bestrahlung reicht aus, um Tumorzellen in den verbleibenden Lymphknoten zu zerstören. Strahlentherapie Wie häufig eine Patientin im Anschluss an die vorangegangenen Schritte zur Bestrahlung kommen muss, ist indi- viduell verschieden. „Bei bestimmten Patientinnen können wir die Dauer der Strahlentherapie reduzieren“, sagt PD Dr. Bottke. Bei der sogenannten Hypo- fraktionierung kommen die Patientinnen drei bis vier Wochen anstelle der üblichen fünf bis sechs Wochen zur ambulanten Bestrahlung. Die Strah- lenther apie an fünf Tagen in der Woche dauert nur wenige Minuten. Bei der kürzeren Bestrahlung wird die Strahlendosis pro Einheit erhöht. „Studien aus Großbritannien und Kanada zeigen, dass die Ergebnisse der kürzeren Bestrahlung genauso gut sind, wie bei der längeren Bestrah- lung“, sagt er. In den aktuellen Leit- Privatdozent Dr. Dirk Bottke (li.) und Professor Dr. Thorsten Kühn diskutieren über die optimale Therapie Klinikum Esslingen Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Chefarzt Professor Dr. Thorsten Kühn Telefon 0711 31033051 t.kuehn@klinikum-esslingen.de MVZ Strahlentherapie und Radioonkologie Ärztlicher Leiter PD Dr. Dirk Bottke Telefon 0711 31033321 d.bottke@mvz-ke.de linien zur Bestrahlung von Brust- krebspatientinnen wird die verkürzte Strahlentherapie für die Mehrzahl der Patientinnen empfohlen. Am Klinikum Esslingen wurden diese innovativen und schonenderen Bestrahlungsver- fahren sehr frühzeitig in die Routine umgesetzt. Dank der neuen und modernen Geräte sind die Nebenwirkungen der Strah- lentherapie sehr gering. Am häufigs- ten treten Hautreaktionen ähnlich wie bei einem Sonnenbrand auf. Zudem fühlen sich viele Patientinnen nach der Bestrahlung müde und schlapp. Auch die Angst vor einer Belastung durch die hochenergetischen Röntgenstrah- len kann PD Dr. Bottke den Patientin- nen nehmen: „Die modernen Geräte ermöglichen eine zielgenaue Bestrah- lung. Wir bestrahlen nur die Brust und zwar von schräg vorne und schräg hinten. Die Lunge und das Herz wer- den dabei geschont.“ aw
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